Vertrauen ins Morgen: Das bedeutet das Libori-Motto 2025 | 10.07.2025

Vertrauen in die Zukunft – in einer Zeit der Krisen und Kriege? Dompropst Joachim Göbel über die Frage, was Vertrauen ausmacht und wie man Vertrauen lernen kann.

Das Libori-Fest steht im Jahr 2025 unter dem Motto „Vertrauen ins Morgen“. Damit greifen die Organisatoren das Thema des Heiligen Jahres, „Pilger der Hoffnung“, auf – aber Hoffnung und Vertrauen sind nicht einfach in einer Gegenwart, die von Krisen und Kriegen geprägt ist. Im Interview spricht Dompropst Msgr. Joachim Göbel darüber, was Vertrauen in die Zukunft ausmacht, worauf sie fußen kann und welche wichtige Rolle Menschen mit Grundvertrauen für unsere Gesellschaft spielen.

Redaktion: Herr Dompropst, das diesjährige Libori-Motto lautet „Vertrauen ins Morgen“. Was macht Vertrauen aus?

Dompropst Msgr. Joachim Göbel: Wenn mein Hausarzt sich meine Laborwerte anguckt und sagt: „Keine Sorge, es ist nichts Ernstes.“ Dann ist das etwas, was ich nicht kontrollieren kann, weil ich selbst kein Mediziner bin. Die Zahlen auf dem Bildschirm sagen mir nichts. Aber ich konnte mich in der Vergangenheit auf das Urteil meines Hausarztes verlassen. Also vertraue ich ihm, dass seine Diagnose auch diesmal stimmt und richte mein Leben danach aus. Vertrauen fußt also zum einen auf positiven, vertrauensvollen Erfahrungen, die man schon gemacht hat. Zum anderen darauf, sich auf andere Menschen zu verlassen – also selbst ein wenig die Kontrolle abzugeben.

Redaktion: Viele Menschen begegnen der Unsicherheit der Zukunft aber eher mit mehr Kontrolle und dem Versuch, Sicherheiten aufzubauen….

Dompropst Göbel: Das ist erst einmal ein normaler Reflex. Wir haben eine Feuerversicherung, obwohl wir hoffen, dass es nie brennen wird. Aber für den Fall der Fälle sind wir gerne abgesichert. Die Frage ist: Wie weit trägt dieses Sich-Absichern-Wollen? Wie viele Gefahren oder Unsicherheiten kann ich heute denn überhaupt voraussagen, um mich dagegen abzusichern?

Redaktion: Im Matthäusevangelium spricht Jesus von den Vögeln, die nicht säen, nicht ernten und keine Vorräte anlegen – sich also nicht um das Morgen sorgen, weil Gott sie ernährt (Mt 6,26). Sollten wir uns ein Beispiel an dieser Form von Vertrauen nehmen?

Dompropst Göbel: So ein allzu luftiges Vertrauen, das jeder realistischen Einschätzung entbehrt, wäre das andere Extrem. In meinem medizinischen Beispiel wäre das der Fall, wenn ich drei Wochen lang jeden Tag schwere Magenschmerzen habe, aber sage: „Der liebe Gott wird’s schon richten!“ Gehe ich dann nicht zum Arzt, ist das fahrlässig. Das ist kein echtes Vertrauen in Gottes Führung und Gottes Hilfe. Weil wir bei allem, was wir tun, die Pflicht haben, in der richtigen Weise für uns zu sorgen. Jesus meint mit dem Gleichnis von den Vögeln und den Blumen keine naive Sorglosigkeit. Sondern er meint die Grundhaltung, dass Gott mit dem Volk Israel weiter mitzieht. Das ist das, was Jesus meint: das Vertrauen, dass Gott mitgeht.

Redaktion: Vertrauen bewegt sich also auf einem Mittelweg zwischen naiver Sorglosigkeit und einem Sicherheitsbedürfnis, das alles in Beton gießen möchte. Weil eine gewisse Beweglichkeit nötig ist?

Dompropst Göbel: Auf einem Spielplatz kann man sehr gut sehen, wie weit sich Kinder von ihren Eltern entfernen können, ohne das Gefühl von Sicherheit zu verlieren. Sie bauen Sandburgen, spielen mit anderen Kindern, sind kreativ. Was auch immer sie tun, sie wissen, dass die Eltern zehn oder 20 Meter weit weg sind und dass ihnen nichts passieren kann. So würde ich das für uns als Menschen sehen. Wir können unser Leben, unser gesellschaftliches Zusammenleben und die uns anvertraute Schöpfung gestalten – kreativ, vorausschauend und sorgfältig. Weil wir wissen, dass wir nicht letztverantwortlich sind. Das ist Gott. Es liegt auch nicht an uns, ob das Reich Gottes kommt oder nicht. Das ist nicht daran gebunden, wie fromm oder tüchtig wir sind. Es kommt. Gott ist da. Ob wir ihn immer bewusst neben uns oder über uns wissen, ist völlig egal. Selbst wenn wir nicht mehr an Gott glauben können, können wir ihn nicht daran hindern, weiter an uns zu glauben. Das macht Hoffnung. Zumindest einem gläubigen Menschen.

Redaktion: Fällt es gläubigen Menschen leichter zu vertrauen?

Dompropst Göbel: Forschende haben herausgefunden, dass Menschen, die glauben – egal welcher Religion sie angehören –, besser durch persönliche oder größere Krisen kommen. Vielleicht haben glaubende Menschen aufgrund ihres Glaubens ein stärkeres Grundvertrauen. Aber auch ohne den Glauben können Menschen Vertrauen entwickeln. Zum Beispiel kann man an die Fähigkeiten des Menschen glauben und darauf vertrauen.

Redaktion: Wie kann ein nicht-glaubender Mensch in diesen Zeiten Vertrauen fassen?

Dompropst Göbel: Wenn wir auf die aktuelle politische Lage blicken, scheint es schier unmöglich, dass die Konfliktparteien Im Nahen Osten oder in Osteuropa Frieden schließen. Aber denken Sie nur daran, wie viel Mühe und wie viel Zeit es gekostet hat, um den Dreißigjährigen Krieg zu beenden. Und doch haben Menschen das geschafft. In Kriegen, Epidemien und bei Hungersnöten sind viele Menschen gestorben, es hat viel Leid gegeben. Aber letztlich haben Menschen Lösungen für diese Situationen gefunden. Wieso sollte es heute anders sein?

Redaktion: Was macht Ihnen persönlich Hoffnung?

Dompropst Göbel: Wenn ich an den Schulen in Trägerschaft des Erzbistums bin und mit den Schülerinnen und Schülern spreche, dann merke ich, dass da viel Lust auf die Zukunft ist. Da ist ein völlig neues Denken. War für Menschen meiner Generation der Führerschein die Eintrittskarte ins freie Leben, nutzen viele junge Menschen heute öffentliche Verkehrsmittel. Da sind dann in einigen Jahren vielleicht Köpfe am Werk, die über neue Transportmittel nachdenken, die das Auto ablösen. Das macht mir Hoffnung.

Redaktion: Der zweite Aspekt von Vertrauen, den Sie vorhin angesprochen haben, sind positive, vertrauensvolle Erfahrungen, die man in der Vergangenheit gemacht hat. Wie macht man die?

Dompropst Göbel: Viele Menschen erleben vertrauensvolle Erfahrungen in der Familie, mit Eltern und Freunden, die für sie da sind. Aber das erleben eben nicht alle. Und für diese Menschen müssen wir Räume und Möglichkeiten schaffen, die ihnen das ermöglichen. Vertrauen entsteht in der Begegnung von Mensch zu Mensch. Eine Person, die eben nicht das Glück einer heilen Familie hatte oder in anderer Weise in ihrem Grundvertrauen erschüttert wurde, soll merken können, dass sie sich auf andere verlassen kann.

Redaktion: Sehen Sie darin eine Aufgabe für die Kirche?

Dompropst Göbel: Es gibt Menschen, bei denen unsere Gesellschaft sagt: „Hat keinen Zweck.“ Da müssen wir sagen: „Doch! Hat Zweck, ergibt Sinn!“ Sich um obdachlose Menschen zu kümmern, Sterbende zu begleiten, Menschen zuzuhören, die allein sind. Das ist eine Aufgabe für uns als Kirche, die Gesellschaft stabilisiert und voranbringt. Ich möchte nicht, dass man uns als Kirche nur als Vorlage für Kinofilme wahrnimmt, weil wir immer noch so geheimnisvoll und altertümlich erscheinen können. Kirche kann dazu beitragen, dass Menschen in dieser Gesellschaft wieder Vertrauen ins Morgen fassen. Um sich in der Begleitung von Sterbenden oder in unserem Gasthaus zu engagieren, muss man nicht gläubig sein. Ich erlebe aber, dass sich dort oft Menschen engagieren, die einen Glauben haben, für die Gottesdienst wichtig ist. Sie haben ein Grundvertrauen aus ihrem Glauben heraus. Und geben die Erfahrung weiter, dass ein Leben nach dem Evangelium tatsächlich eine andere Lebenseinstellung bewirkt. Dass es diese Menschen gibt und dass sie mit ihrem Einsatz anderen Vertrauenserfahrungen schenken, gibt mir Hoffnung.

 

von Cornelius Stiegemann
Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.erzbistum-paderborn.de

Dompropst Msgr. Joachim Göbel. © Besim Mazhiqi